Holocaust und Blasphemie

FAZ vom 25.07.2012

Robert Spaemann zur Blasphemie-Debatte: Beleidigung Gottes oder der Gläubigen?

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/robert-spaemann-zur-blasphemie-debatte-beleidigung-gottes-oder-der-glaeubigen-11831612.html

Die wichtigen Auszüge:

Irgendetwas stimmt nicht. Das deutsche Recht und mehr noch die deutsche Rechtsprechung muten es dem religiösen Bürger zu, dass das, was ihm das Heiligste ist, ungestraft öffentlich verhöhnt, lächerlich gemacht und mit Schmutzkübeln übergossen werden darf. Dann und wann einmal findet ein Richter, es sei irgendwo zu weit gegangen worden, und verhängt eine Bewährungsstrafe. In der Regel geschieht das nicht. Vor allem nicht mehr, seit nur noch diejenige Beleidigung strafbar ist, die den „öffentlichen Frieden gefährdet“.

Das heißt auf Deutsch: Nur noch die mohammedanische Religion genießt den Schutz des Gesetzes, nicht die christliche. Denn Christen reagieren auf Beleidigung nicht mit Gewalt, Muslime aber wohl, und keineswegs nur „Islamisten“. Als in London vor Jahren der Film „Die letzte Versuchung Jesu“ in die Kinos kam, wurde er nach drei Tagen wieder abgesetzt, weil Muslime die Theater wissen ließen, dass sie die Beleidigung Jesu, der bekanntlich für den Islam ein Prophet ist, nicht hinnehmen würden. Dass die Christen es bei folgenlosen Protesten bewenden ließen, konnte bei Muslimen nur stille Verachtung auslösen. Den Christen, so folgern sie, ist offenbar nichts wirklich heilig.

Die Frage lautet: Sollte Religionsbeleidigung überhaupt strafbar sein, und wenn ja, warum? Ferner: Worin besteht eigentlich der einschlägige Tatbestand? Und drittens: Sollten Strafen für Religionsbeleidigung drakonisch oder hauptsächlich symbolisch sein? Wessen Ehre soll das Gesetz schützen: die Ehre Gottes oder die Ehre von Gläubigen? Darüber muss zunächst Klarheit herrschen.

Die doppelte Strafe ist angemessen

Ein Staat, der seine Bürger nicht gegen die Verunglimpfung dessen, was ihnen das Heiligste ist, schützt, kann nicht verlangen, dass diese Menschen sich als Bürger ihres Gemeinwesens fühlen. Wenn es sich um Christen handelt, so bleiben sie loyale Untertanen, aber nicht mehr.

Die Leugnung des Mordes an sechs Millionen Juden sollte zwar so wenig strafbar sein wie die Leugnung des Kreuzestodes Jesu zum Beispiel im Koran. Sie ist einfach eine falsche Tatsachenbehauptung. Für Wahrheitsfragen aber ist der Staat nicht die entscheidende Instanz. Die Verhöhnung der Opfer dagegen wäre eine objektive Beleidigung, die mit Recht nicht straffrei bliebe.

Der Völkermord an den Juden in Europa ist seit den siebziger Jahren in eine quasi sakrale Ebene erhoben worden.

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Es ist logisch nicht nachvollziehbar, warum Blasphemie zusammen mit Holocaust-Leugnung im selben Artikel, im selben Atemzug abgehandelt wird. Die Leugnung des Kreuzestodes Jesu wird auf gleicher Stufe wie die Leugnung des Mordes an sechs Millionen Juden gestellt. Die Leugnung beider Geschehnisse sind eindeutige Beleidigungen. Doch hier endet jeglicher Vergleich. Sechs Millionen Juden wurden akkurat ermordet. Die Nazis waren perfekte Bürokraten. Ganz im Gegensatz zu Menschen am östlichen Mittelmeer vor 2000 Jahren. Bis heute ist nicht bewiesen, dass der Mensch Jesus je gelebt hat.

Der Kreuzestod Jesu ist der wichtigste Bestandteil des katholischen Glauben. Doch wage ich zu behaupten, dass das Christentum nicht untergehen wird, selbst wenn nachgewiesen werden sollte, dass Jesus nicht existiert hat. Judentum, Christentum und Islam werden weiterhin existieren, obwohl die Person Abraham nur unvollkommen den Stammvater verkörpert, den seine Anhänger von ihm fordern.

Für Christen ist der Mensch Jesus genauso real wie der Holocaust für Juden. Jesus ist für Christen die Berechtigung, Christ zu sein. Der Holocaust ist für wahre Christen die Berechtigung, dass Israel sowohl als Volk, als auch als Staat existiert. Für Christen ist dieser Gedankengang nachvollziehbar, für Juden nicht. Katholiken halten diesen Gedanken für genial und philosemitisch, gar zionistisch, womit sie recht haben mögen. Für Juden ist der Holocaust eine Erklärung, dass sie weiterhin Gottes auserwähltes Volk sind.

Warum also der Vergleich von Kreuzigung mit Holocaust?

Prof. Robert Spaemann ist nicht ein beliebiger Philosoph, sondern Berater des jetzigen Papstes. Wenn er etwas veröffentlicht, und sei es in der FAZ, so vertritt er den orthodoxen Glauben der katholischen Christenheit. Seine Aussagen zur Blasphemie werden vom durchschnittlichen Leser der FAZ verstanden. Sein kurzer Ausrutscher in den Holocaust ist nicht zufällig, sondern abgesprochen gewollt.

Jesu Kreuztod und Holocaust werden nebeneinander auf einer Stufe gestellt, weil es der Katholizismus so sieht! Der gebildete Christ weiß zwar, dass Jesus von den Römern zu Tode gebracht wurde, da Juden kein Recht hatten, die Todesstrafe auszusprechen und zu vollziehen. Doch der einfache Christ ist bis heute überzeugt, dass Juden Gottesmörder sind. Außerdem weiß der Christ, dass er, nicht der Jude, seit Jesus Tod Mitglied des von Gott und Jesus auserwählten Volkes ist. Die Ermordung von sechs Millionen Juden als Antwort auf den Mord Gottes wird nachvollziehbar.

Wer den Kreuzestod Jesu leugnet, leugnet die Basis des Christentums. Er wünscht das Ende des Christentums. Ist das Christentum genügend stark, sich zu wehren?

Wer den Holocaust an sechs Millionen Juden leugnet, ist mit einem erneuten Genozid einverstanden. Heute sind Juden genügend stark, sich zu wehren. Hilfreich, wenn ihnen Christen helfen.

Nächster Punkt: Soll Blasphemie bestraft werden?

Dieser scheinbar wichtige Punkt des Artikels wird nach dem Vergleich von Kreuzigung mit Holocaust bedeutungslos. Trotzdem soll ihm nachgegangen werden.

Blasphemie ist nicht die Beleidigung Gottes, sondern die Beleidigung derer, die an ihn glauben. Gott kann nicht vom Menschen beleidigt werden. Genauso wenig wie ein Sandkorn das Meer beleidigen kann. Der Gläubige, nicht Gott, ist ein Wesen, welches beleidigbar ist.

Der Aufruf in der FAZ behandelt die Blasphemie des Christentums. Robert Spaemann neidet die Muslime, die er zu verachten scheint. Er neidet ihren erfolgreichen Kampf gegen Blasphemie, er verachtet ihre undemokratische nicht-christliche Art der Durchsetzung.

Nach jüdischem Verständnis wird nur eine Jude bestraft werden, wenn er Gott beleidigt. Ein Nichtjude ist von Gott selber zur Ordnung zu rufen hat. Das christliche Verständnis weicht vom jüdischen ab.

Juden haben keine Probleme mit der Beleidigung fremder Gottheiten. Sie dürfen es nicht. Das Verbot, schmackhaftes Schweinefleisch zu essen, rührt von der Zeit, als Nachbarvölker das Schwein als Gottheit verehrten. Fremde Götter soll man nicht verspeisen. Das Christentum ist die Ausnahme.

Fazit:

Blasphemie braucht nicht bestraft zu werden. Religionsanhänger, die Gottesbeleidiger und Gottesleugner bestrafen wollen, bezweifeln die Allmacht ihres Gottes. Logischerweise sollten sie selber bestraft werden.

Wer den Holocaust leugnet, will den Genozid an Juden vollenden. Wahre Christen sollten sich dagegen auflehnen, denn ihr Gott war als Mensch Jude, unabhängig davon, ob Juden daran glauben oder nicht.

Wer den Holocaust sechs Millionen Juden mit dem Kreuztod eines einzigen Juden gleichsetzt, auch wenn er zum Gott wird, sollte in sich einkehren.

Nachtrag:

Der Artikel vermittelt den starken Eindruck, dass Robert Spaemann das Ende des Christentums klar vor sich sieht, zumindest für unausweichlich hält, wenn sich das christliche Europa nicht gegen Atheismus und Islam wehrt. Der Vergleich von Kreuzigung mit Holocaust deutet an, dass das Christentum das Judentum braucht. Antisemitismus beschleunigt somit das Ende der katholischen Christenheit.

Wirtschaftliche Probleme Europas lassen Xenophobie und Antisemitismus spriessen. Die Reaktionen des deutschen Mainstreams auf das Beschneidungsurteil sind das Vorspiel. Die Haltung Europas zu den Gefahren, die Israel ausgesetzt ist, ist erschreckend verständlich. Just in diesem Moment benötigt die Kirche den Schutz der Synagoge.

Wir werden ihr ihn gewähren.

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Eine Antwort zu Holocaust und Blasphemie

  1. Stefan Wehmeier schreibt:

    „Wenn dein Lebensglück dir am Herzen liegt, so lass dir das Christentum durch keine Theologie oder Kirchlichkeit erklären, sondern suche es selbst an der Quelle, in den Evangelien, und auch in diesen vorzugsweise in den eigenen Worten Christi auf, die ihresgleichen in keiner anderen Weisheit haben.“

    Carl Hilty, Staatsrechtler (1833 – 1909)

    Die „Bildzeitung der Antike“, das „neue Testament“ der Bibel (die Bildzeitung möge mir verzeihen), beinhaltet nur noch gegenständlich-naive Fälschungen der originalen Gleichnisse des genialen Propheten Jesus von Nazareth. Beispiel:

    (NHC II,2,16) Jesus sagte: Vielleicht denken die Menschen, daß ich gekommen bin, um Frieden auf die Welt zu werfen, und sie wissen nicht, daß ich gekommen bin, um Spaltungen auf die Erde zu werfen, Feuer, Schwert, Krieg. Es werden nämlich fünf in einem Hause sein. Drei werden gegen zwei und zwei gegen drei sein, der Vater gegen den Sohn und der Sohn gegen den Vater. Und sie werden als Einzelne dastehen.

    (Lukas 12,51-53) Meint ihr, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht. Denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei gegen zwei und zwei gegen drei. Es wird der Vater gegen den Sohn sein und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.

    Was hier das Original und was die gegenständlich-naive Fälschung ist (der Grad der Naivität ist nach dem Erkenntnisprozess der „Auferstehung aus dem geistigen Tod der Religion“ geradezu unfassbar), sollte auch demjenigen auffallen, der noch gar nicht weiß, worum es geht. Denn abgesehen davon, dass Vater + Sohn + Mutter + Tochter + Schwiegermutter + Schwiegertochter bereits sechs Personen ergeben und nicht fünf (möglicherweise war der Evangeliendichter Lukas der Ansicht, das „uneins“ noch hinzuzählen zu müssen), könnte man bei unvoreingenommener Betrachtung der Fälschung zu dem Schluss kommen, dass Jesus offenbar ein Wahnsinniger war, was auch die „heilige katholische Kirche“ bestreiten dürfte.

    Auch geht es hier nicht um natürliche Personen in einem Wohnhaus und schon gar nicht um eine Mutter, eine Tochter, eine Schwiegermutter und eine Schwiegertochter, sondern um elementare Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens in einer arbeitsteiligen Zivilisation.

    (NHC II,2,108) Jesus sagte: Wer von meinem Mund trinken wird, wird werden wie ich; ich selbst werde er werden, und die verborgenen Dinge werden sich ihm offenbaren.

    http://www.juengstes-gericht.net

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